Sonntag, 30. Januar 2011

Sunnam Venkatewara Rao arbeitet seit 45 Jahren fürs Goethe Institut Chennai

Madras. Seine Augen schauen zur Decke, die Ohren gespitzt. Währenddessen schlägt Venkateswara Rao die Tasten des Flügels an und lauscht. Sein Gehör ist immer noch ebenso scharf wie im Kindesalter, als er begann, sich mit südindischer Musik zu beschäftigen.

Der Steinway Flügel des Goethe- Instituts Chennai ist nicht ganz so alt wie er, aber SunnamVenkatewara Rao hat ihn von Anfang an auf seinem Weg begleitet. Die beiden alten Herren kennen sich gut. Zwar dauert es in letzter Zeit immer länger den Steinway zu stimmen, aber das liegt nicht an Rao. „Er ist nun mal nicht mehr der Jüngste“, meint der 72-Jährige. Er selbst scheint dagegen nichts an Energie verloren zu haben. Seit über 55 Jahren stimmt er Instrumente. Heute sind es jeden Tag zwei - und das sind zusammen immerhin 450 Saiten. Allerdings liegt ihm der Steinway am meisten von allen seinen Schützlingen am Herzen. „Der beste Flügel in ganz Chennai“, meint er.


Wer ziemlich unmusikalisch ist wie ich, wundert sich, wie der alte Herr so schnell und präzise heraushören kann, welche Saite wie gestimmt werden muss. Ich versuche es gar nicht zu verstehen, sondern betrachte fasziniert seine Hände – eine Farbe wie dunkles Ebenholz – die mit sicherer Routine an Rädchen drehen und wieder die Tasten mit der einen Hand bedienen, in der anderen eine Stimmgabel dicht am Ohr.. Das sieht so leicht aus, wie bei mir das Schreiben auf der Tastatur meines Computers.

Rao begann seine Reise im Staat Andhra-Pradesh, wo er geboren wurde. Im Alter von sechs Jahren brachte ihm ein Musiker, ein Guru, wie in Indien alle Lehrmeister heißen, die carnatische oder südindische Musik näher. Im frühen Kindesalter trat der begabte Junge sogar einer Schauspieltruppe bei, wo er mehrmals kleinere Rollen bekam.

Mit sieben Jahren wurde Rao, Sohn eines Instrumentenbauers, in die Stadt nach Machilipatnam geschickt. Sein Vater lebte damals schon nicht mehr, seine Mutter starb wenige Jahre später, als er gerade zwölf Jahre alt war. Bezugsperson blieb seine Großmutter, die er immer wieder besuchte.

"Miss Salsbury" weihte Rao in westliche Musik ein

In Machilipatnam lernte Rao, Instrumente zu stimmen und zu reparieren. Damals war es noch die Vina, ein indisches Instrument, das einer großen Mandoline gleicht und auf dem Boden sitzend gespielt wird. Schon bald konnte der gelehrige Schüler Reparatur- und Stimmarbeiten an vielen Instrumenten ausführen. Und das, obwohl er nie gelernt hatte, diese wirklich zu spielen. Drei Jahre später - 1951 - kam er nach Madras im Staat Tamil Nadu, dem heutigen Chennai, wo er bei Verwandten wohnen konnte. Er fand Arbeit bei Musee Musicals, einer Firma, bei der er noch heute arbeitet. Dort war er zunächst vor allem für das Stimmen von Gitarren und Harmonikas zuständig. Viel später machte ihn „Miss Salsbury“, eine indisch-britische Diplom-Pianistin näher mit der westlichen Klassischen Musik bekannt. Er war 25 Jahre alt.

Der Steinway und er lernten sich bereits 1966 kennen, als der Baby Grand vom Goethe-Institut erworben wurde. Rao bekam den Auftrag, sich um das Instrument zu kümmern und von da an wurde es jedes Jahr mindestens vier Mal von ihm gestimmt. Heute gehört er zum Goethe-Institut in Chennai dazu wie zu einer großen Familie.

Die zweite große Leidenschaft ist Johann Sebastian Bach

Rao arbeitete für viele bekannte Musiker, die innerhalb des Goethe-Instituts aber auch von anderen internationalen Kulturorganisationen eingeladen waren. Darunter bekannte Größen wie Herbie Hancock und  David Robinson sowie viele namhafte indische Pianisten.

Neben dem Steinway hat Rao noch eine große Leidenschaft: Johann Sebastian Bach, den er heiß verehrt. „Er ist einfach der Größte. Für mich gibt es keinen anderen als ihn.“ Gefragt nach seinen Lieblingsstücken von Bach kann er sich nicht entscheiden. „Einfach alles, vom Wohltemperierten Klavier über Orgelmusik bis hin zu Oratorien.“

Arbeit hat Rao genug. 5000 Flügel gibt es in Chennai und nur 5 weitere Klavierstimmer. Dass er einmal in den Ruhestand geht, kann er sich nicht vorstellen. Aber es gibt bereits Nachwuchs in der Familie: Seine drei Söhne haben sich als Instrumentenstimmer verdingt. Die beiden Töchter, bedauert er, seien dagegen nicht so musikalisch.   
Text: Senya Müller; Fotos: Vijay Kumar